Man fragt sich zu recht: Kann so weit nördlich noch vernünftiger Wein wachsen? Ahr und Mittelrhein liegen jenseits des 50. Breitengrades, der allgemein als Grenze des Weltweinbaus gilt. Dennoch ist es, einigen Ehrgeiz der Winzer vorausgesetzt, selbst in mittleren Jahren möglich, an der Ahr mehr als zwölfgrädigen Burgunder zu erzeugen, ohne dass ein Gramm Zucker nötig wäre. Das müssen Frankreichs Winzer erst einmal nachmachen. Gewiss ist es im Süden heißer, doch staut sich auch in den engen Tälern des Rheins und seiner Nebenflüsse die Wärme. Was noch wichtiger ist: Im Sommer bleibt es dort viel länger hell, bis zu 17 Stunden am Tag, günstig für die lichthungrigen Reben. Außerdem reift in den nördlichen Gebieten alles geruhsamer, dafür insgesamt länger. Die Trauben haben reichlich Zeit, Aromen aus dem Boden zu holen.
Die Ahr ist für den Köln-Bonner Großraum fast so etwas wie ein Naherholungsgebiet. Der milde Spätburgunder der Ahr lässt aber durchaus auch eine längere Anfahrt lohnend erscheinen. Die rund 5 Millionen Flaschen jährlich sind rasch ausgetrunken. Im Sommer nehmen viele Besucher aus dem Köln-Bonner Raum den aussichtsreichen, etwa zwanzig Kilometer langen Rotwein-Wanderweg zwischen Neuenahr und Ahrweiler, um am Ende wohlig erschöpft bei einigen Gläsern Burgunder auszuruhen. Und an Winter-Wochenenden, wenn es still in dem engen Tal geworden ist, zieht es die Bürger Bonns in die Abgeschiedenheit. Bei der Heimfahrt liegen einige Kartons Spätburgunder dann im Kofferraum.
Es ist noch gar nicht solange her, dass die Ahr beliebtes Ziel von Stammtischklubs aus dem Ruhrgebiet war. Die aufgekratzten Zecher rollten auf der Autobahn 61 an, die viele Jahre ausgerechnet in Bad Neuenahr endete. Die große Talbrücke dort wollte und wollte nicht fertig werden. Die Winzer erfüllten damals allzu bereitwillig die Wünsche der lärmigen Kundschaft und boten Mengen eines Weins an, dem sie reichlich Süße zusetzen mussten, damit niemand merkte, wie dünn er eigentlich schmeckte.
Die änderte sich, nachdem im Sommer 1976 – also inzwischen seit über 35 Jahren – das Viadukt freigegeben worden war. Die Strohhut-Horden trollten sich in Richtung Süden. Es ist bewundernswert, wie rasch sich die Winzer auf eine neue, gediegene Kundschaft umstellten. Sie konzentrierten sich auf ihre beste Sorte, den roten Spätburgunder, der heute mehr als die Hälfte, nämlich nahezu 62 % der Rebfläche, an der Ahr einnimmt. Dort gedeiht er auf steilen, mit schütterem Schiefer bedeckten Hängen, von den Eifel-Höhen vor Kälte und Regen geschützt. Der Wein ist meist hellrot – seiner blassen Farbe wegen nannte man ihn früher „Ahrbleichert“ - hat wenig Gerbstoff, eine weiche Säure und duftet angenehm nach Himbeeren. Er wird häufig als „mollig“ beschrieben und kommt so Genießern entgegen, denen Rotweine des Südens zu wuchtig und zu herb sind und die lieber elegante Weine bevorzugen. Doch Vorsicht: Ahr-Burgunder probiert sich leichter als er ist. Mehrheitlich wird er heute ohne Süße angeboten. So schmeckt er auch am besten, zum Beispiel zu Kalbsleber. Kenner schwören auch auf den roten Portugieser von der Ahr, obwohl dieser hier kaum erwähnenswerte Produkte hervorbringt. Wo diese Sorte noch nicht dem Burgunder gewichen ist, haben die Reben meist ein hohes Alter, was der Güte des Weines allerdings entgegenkommt. Der in den letzten Jahren stärker ins Blickfeld gerückte Frühburgunder vervollständigt das Bild vom Rotweinmonopol – mehr als 88 % der Fläche ist mit Rotweinrebsorten bestockt – an der Ahr, während Riesling sich mit nicht einmal 7 Prozent der Rebflächen zufrieden geben muss und die Massenträger anderer Gebiete, etwa Müller-Thurgau, Bacchus oder Kerner, hier eigentlich nur geduldet sind. Die Ahr-Winzer sind zwar stolz auf ihren Riesling, doch gerät der an der Mosel und am Mittelrhein besser.
Gute Zeit für einen Besuch ist der Mai. Dann herrscht noch Ruhe und der neue Jahrgang kann verkostet werden. Als eine der besten Lagen gilt der Dernauer Pfarrwingert. Beste und gleichzeitig älteste Genossenschaft der Welt – sie wurde 1868 gegründet – ist die in Mayschoß.