Die nördlichste kommunale AOC des Médocs besitzt kein Premier Cru Classé – auch wenn die Rebflächen von Château Lafite-Rothschild bis an die Gemarkung Saint Estèphe heranreichen. Dafür nennt die Appellation zwei ausgezeichnete 2ième Crus Classés ihr eigen: Montrose und Cos d’Estournel. Dicht dahinter folgt mit Château Calon Ségur ein 3ième Cru Classé, das sich in guten Jahren den beiden anderen Châteaux ebenbürtig erweist. Auf Lafon Rochet, einem 4ième Cru Classé, wird neuerdings mit biologisch-dynamischen Methoden experimentiert, und das vis-à-vis Cos d’Estournel gelegene 5ième Cos Labory vervollständigt die Reihe der klassifizierten Güter.
Ein nicht minder großer Schatz Saint Estèphes sind Dutzende Crus bourgeois und vergleichbare Weine – viele dieser Güter liefern seit Jahren konstante Weinqualität zu bescheidenen Preisen. Die bekanntesten sind Capbern Gasqueton (zu Calon Ségur gehörig), Haut Marbuzet, Le Crock (zu Léoville Poyferré gehörig), Les Ormes de Pez (ein Wein, den das Team von Lynch Bages vinifziert), Lilian Ladouys (zu Château Pédesclaux gehörig), Meyney, de Pez (wie Pichon Comtesse aus Pauillac im Besitz des Champagnerhauses Roederer und vom selben Team vinifiziert), Phelan Ségur (im Besitz der Familie Gardinier, die vor ihrem Investment in Saint Estèphe die Champagnerhäuser Pommery und Lanson besaß), Tour de Pez.
Der typische Saint Estèphe ist ein muskulöser Rotwein – ein Wein, der die Vielschichtigkeit eines Pauillac mit der robusten Stoffigkeit eines Bas-Médoc verbindet. Der Merlot-Anteil ist auf den meisten Gütern in Saint-Estèphe höher als in den übrigen kommunalen AOCs des Médoc, denn die Böden der Appellation verfügen über einen höheren Lehmanteil als weiter südlich. Überdies existieren in Saint Estèphe einige Lagen auf Kalk – an diesen Stellen fühlt sich der Merlot ähnlich wohl wie am rechten Ufer der Gironde in Saint Émilion. Die Pflanzungen des Cabernet Sauvignon bleiben auf die besten Kieskuppen beschränkt.
Die Weine aus Saint Estèphe sind für ihre Langlebigkeit berühmt, allerdings zeigen sie sich in der Jugend oft rau und verschlossen und benötigen Flaschenreife, um ihre Komplexität zu entfalten. Wer einen guten Keller und Geduld hat, sollte einen Kauf in Subskription in Erwägung ziehen – neben Jahrgängen wie 2005, 2009 und 2010 werden auch die Saint Estèphe des Jahrgangs 2014 auf Sicht von zehn bis 20 Jahren eine hohe Genussrendite abwerfen.