Der Rheingau – Heimat der Spätlese
Welcher Wein wurde wohl mehr besungen als der deutsche Rheinwein, und Orte wie Rüdesheim, Assmannshausen und der Loreley-Felsen gehören zur Vorstellung von Deutschland schlechthin. Der Rheingau ist mit ca. 3100 Hektar ein kleines Gebiet auf dem rechten Rheinufer, vom Taunus gegen raue Winde geschützt. Hier reifen Rieslingtrauben mit einem Anteil von 80 Prozent und – sehr berühmt – der Blaue Spätburgunder von Assmannshausen. Ein großer Teil der Rheingau-Weine wird von den Winzern selbst vermarktet, da die Region beliebtes Ausflugsziel vieler Besucher aus dem Rhein-Main-Gebiet ist. Rheingau-Weine haben ein blumiges, fruchtiges Aroma und sind sehr harmonisch.
Die Benediktinermönche auf Schloss Johannisberg mussten im Herbst 1775 lange auf die übliche Erlaubnis des Bischofs von Fulda zur Lese warten, denn der Bote mit der Nachricht hatte sich verspätet. Als die Ernte dann eingebracht werden durfte, waren die Trauben bereits überreif und von der Edelfäule befallen. Die Beeren waren geschrumpft, der Zuckergehalt gestiegen und das Bukett des Weins aromareicher: Die Mönche waren von dem Ergebnis begeistert, und so wurde – ohne Absicht – die erste Spätlese gekeltert. Die Weine, insbesondere aus Riesling, die aus dem Rheingau kommen, zählen daher schon lange zum Besten, was Deutschland ins Glas schenken kann.
Der Rheingau – Eine Laune der Natur
Der Rheingau ist eine einheitliche Weinlandschaft und bedarf keiner Aufteilung in verschiedene Bereiche. Er beginnt, was kaum bekannt ist, nicht am Rhein, sondern am Main vor den Toren Frankfurts. Von Wicker am Untermain, an Flörsheim vorbei kommen wir zum ersten historisch bedeutenden Weinort flussabwärts nach Hochheim, den Engländern wohlbekannt durch den Spruch ihrer Queen Victoria: „ A good Hock keeps off the doc – ein guter Hochheimer Wein macht den Arzt überflüssig“. Der Riesling von dort ist ungemein füllig und hat einen unverkennbaren, schon fränkisch anmutenden erdigen Ton.
Unterhalb von Wiesbaden beginnt der klassische Rheingau mit seinen schweren Böden, gefüllt mit fettem Lehm und verwittertem Urgestein. Dort fließt der Rhein – einer Laune der Natur folgend – nicht wie üblich in Süd-Nordrichtung, sondern weicht zwischen Wiesbaden und Rüdesheim von dieser Fließrichtung ab und strebt für eine kurze Strecke gen Westen. Obwohl es dort kaum regnet, ist der Boden immer gut durchfeuchtet; Namen wie Wisselbrunnen oder Nussbrunnen zeugen davon. Nördlich der Weinberge schützt der Taunus die Reben vor allzu kalten Winden, während im Süden der Rhein für milde Temperaturen sorgt und darüber hinaus das Sonnenlicht reflektiert, so dass es gewissermaßen zweifach auf die Weinberge gelenkt wird. Der sich zwanzig Kilometer lang erstreckende Hang ist wie ein einziger Weinberg, fast immer nach Südsüdwest ausgerichtet. Diese klimatischen und geologischen Vorzüge machen den Riesling zum König, giben dem Wein eine Fruchtigkeit mit, die mal an Pfirsich, mal an Aprikose erinnert.
Bei Rüdesheim blicken die steilen Weinberge, gekrönt vom Niederwald-Denkmal, exakt nach Süden. Das Tal des Stroms wird eng. Dort kocht die Sonne. Rüdesheimer Wein ist berühmt für seine stahlige Säure. Zur Forelle aus dem Taunus gibt es kaum etwas Besseres. Eine notwendige Anmerkung: Rüdesheim besteht nicht nur aus der lärmigen Drosselgasse. Im oberen Teil des Städtchens liegen urgemütliche Straußenwirtschaften. Fünf Kilometer weiter öffnet sich eine neue Welt: In Assmannshausen wird fast nur Spätburgunder angebaut, der einen nicht so schweren, erfrischend fruchtigen Rotwein bringt. Der Rheingau endet in den Orten Lorch und Lorchhausen, deren Weine mit ihrem erdig-mineralischen Geschmack schon auf den angrenzenden Mittelrhein hinweisen.
Der Rheingau – Qualität mit internationaler Ausrichtung
Die meisten Rheingauer Weine haben eine Gemeinsamkeit: In ihrer Jugend fallen die Gewächse aus dem Rheingau durch eine zuweilen ungestüme, zumindest aber markante Säure auf, die erst nach einiger Zeit ihre vielschichtige Aromatik entfalten. Wer sie ihnen lässt, wird mit großartigen Gaumenfreuden belohnt.
Der Rheingau gilt angesichts der unbestrittenen Qualität seiner Weine nicht nur als Eliteregion, sondern auch als Gebiet mit relativ hohem Exportanteil – so klein das Gebiet auch ist. Dies liegt an der sukzessiv gewachsenen Zahl renommierter Güter, die mit ihren Rieslingen auf internationalem Parkett reüssierten. Heute weist das Rheingau eine immense Dichte weltberühmter Erzeuger auf, unter denen mit Robert Weil, Schloss Vollrads, dem Weingut Künstler oder Kloster Eberbach hier nur eine kleine Auswahl genannt werden kann.
Wer sich im Rheingau nicht auskennt und sichergehen möchte, kauft Weine der Charta. Dies ist ein Zusammenschluss von knapp fünfzig Weingütern, die einen bestimmten Riesling-Typus anbieten: betont fruchtig, mit herzhafter Säure und einem nur zu erahnenden Hauch Süße. Am Flaschenhals ist ein romanischer Fensterbogen aufgeprägt.
Nicht nur wegen der Weine lohnt es sich das Rheingau zu besuchen: Das mittlerweile weltberühmte Rheingau Musik Festival hat sich seit seiner Gründung in den 1980er-Jahren zu einem echten Publikumsmagneten entwickelt. Jahr für Jahr stehen im Sommer nahezu 150 Konzerte an über 40 Spielorten auf dem Programm. Während das Gros der Veranstaltungen Klassik- und Jazz-Enthusiasten anspricht, kommen aber auch Freunde der Literatur und des Kabaretts auf ihre Kosten.