24.03.02
Als "Vorbote" veröffentlichte James Suckling auf der Website vom Winespectator bereits einen Teil seiner Bewertungen, die wir mit Schrecken zur Kenntnis nahmen. Dass sich der 2001er Jahrgang uneinheitlicher als der 2000er präsentieren würde, hatten wir aus Bordeaux bereits vernommen, doch Suckling sah einige Weine genauso gut oder besser als 2000! Nachdem die weltweite Nachfrage und die Preise für den 2000er bereits durch die Nachbewertung von Parker stark angestiegen waren, hofften wir deshalb diesmal auf geringere Einstandspreise für den 2001er Jahrgang. Ob die Botschaft bei Chateau-Eignern bei so hohen Bewertungen ankommt, scheint jedoch fraglich! Dank des Internets ist die alljährliche Primeurkampagne nun jedoch um einiges transparenter, sowohl für den Verbraucher als auch für uns Händler. Noch bis vor einigen Jahren lautete die Reihenfolge: Verkostung in Bordeaux, danach Einkaufen der Weine - die Veröffentlichung der Bewertungen erfolgte zuletzt! Nun gibt es die ersten Bewertungen bereits, bevor die offiziellen Verkostungen beginnen, und die Kampagne inklusive der Preise richtet sich nach Parker & Co..
Um mir ein eigenes Bild zu machen, begebe ich mich deshalb an diesem Sonntag nach Bordeaux. Bei strahlendem Sonnenschein gelingt es mir, Paris mit dem PKW relativ staufrei zu umfahren und in einer akzeptablen Zeit in Bordeaux anzukommen. Gerade rechtzeitig, um im Hotel noch ein Abendessen einzunehmen und mich mit der französischen Küche auf die folgenden Tage einzustimmen!
25.03.02
Abgesehen von einem krähenden Hahn, schlechtem französischen Kaffee und fettigen Croissants gibt es über die ganz frühen Morgenstunden wenig zu berichten. Um 8.45 Uhr erwartet man mich auf Cos d’Estournel. Ein sehr gefälliger, fast süffiger Pagodes de Cos begrüßt mich mit offenen Armen: Die rebsortentypischen Aromen des Cabernet Sauvignon, der 65% beisteuert, kommen bestens zur Geltung, wobei sich der Wein im Vergleich mit dem 2000er eher klassisch und extraktarm präsentiert.
Dies ist sicherlich auch auf die klimatischen Bedingungen und den Vegetationsverlauf des Jahres 2001 zurückzuführen: Die relativ milden Temperaturen des Frühjahrs führten Anfang März zur ersten Blüte. Von Mai bis Juni fand ein gleichmäßig starkes Wachstum der Trauben statt, das durch viel Niederschlag im Monat Juli abgelöst wurde. August und September konnten die Trauben dann dank des bilderbuchartigen Hochsommers bestens ausreifen. Die Ernte begann vergleichsweise spät im Jahr, und wer bei der grünen Lese selektiv vorging, konnte gute bis sehr gute und vor allem gleichmässige Trauben ernten. Leider gibt es ähnlich wie in 1999 einige Weingüter, die weniger selektiv vorgingen und somit ungleichmäßige Weine teilweise mit grünen Tanninen vorstellten. Chateau de Marbuzet, Cru Bourgeois aus dem St. Estephe, welches ebenfalls zum Besitz der Domaine Prats gehört, präsentiert sich als mittelgewichtiges Gewächs, terroirgeprägt, leichte Würze...sorry, James Suckling, aber für mich keine 91 Punkte wert. Nun zum Finale der kleinen Degustation: Cos d’Estournel, sehr fein, gut strukturiert, ebenfalls mittelgewichtig und nach meiner Meinung ganz bestimmt keine 95-100 Punkte wert.
Weiter geht es zum nächsten Termin auf Château Mouton-Rothschild - d’Armailhac, Clerc Milon und Mouton-Rothschild stehen zur Verkostung bereit. Alle Weine präsentieren sich im Vergleich zu den Mustern von Cos d’Estournel etwas müde und ausgezehrt. Die Ursache hierfür scheint gefunden, als wir auf der Flasche "Echantillon 12.02" geschrieben sehen - verkosten wir hier etwa sechs Wochen alte Muster? Auf unsere Rückfrage klärt man uns jedoch auf, dass es sich um die 12. Kalenderwoche des Jahres und somit doch um frische Fassmuster handelt! D’Armailhac und Clerc Milon zeigen sich mittelgewichtig und müde. Wäre ich gezwungen, Punkte zu vergeben, würden diese wenig vorteilhaft ausfallen. Lediglich Mouton-Rothschild präsentiert sich ein wenig besser: Tiefgründig, undurchsichtig mit leichtem Vanilleanklang von neuem Holz, süßlicher Frucht und sehr wenigen Tanninen für ein Faßmuster. Spätestens an diesem Punkt hätte ich mich kneifen wollen, ob ich mich denn wirklich auf einem Premier Cru im Pauillac befinde! Bekannte und mir bis dato unbekannte Kollegen bestätigen meine Zweifel ebenfalls. Meine Notizen enden: Was ist hier los?
Ordentlich verwirrt mache ich mich auf den Weg in die Nachbarschaft: Lafite-Rothschild. Mit Carruades de Lafite beginnt das erste Highlight des Tages; ein für Fassmuster typischer Duft von frisch gepflückten Brombeeren mit dementsprechenden Cassis-Farbtönen im Glas betören meinen Gaumen. Ausdrucksstark, wuchtig, nuancenreich und schön strukturiert! Wieder ein Carruades-Jahrgang mit ausgezeichnetem PLV (Preis-Leistungs-Verhältnis) - Duhart Milon kann leider nicht daran anknüpfen und bleibt deutlich zurück; die vom Chateau empfohlene Reihenfolge scheint wenig vorteilhaft. Mit dem 2001er Lafite-Rothschild gibt es nun nicht nur Premier Cru-Habitus, sondern zur Abwechslung auch Premier Cru ins Glas: Ein tiefschwarzes Brombeergedicht, eine Fruchtbombe, mit moderaten Tanninen und einer majestätischen Struktur - der wahre Grand Vin!
Pichon-Lalande ruft, und eine Comtesse lässt man nicht warten. Das zu Pichon-Lalande gehörende Cru Bourgeois Bernadotte verströmt den Duft von Wacholder, mitteltief, mit mittlerem Purpur und schönem Tannin, kernig, aber etwas holprig in der Textur und nicht so fruchtdominant wie frühere Jahrgänge. Reserve de la Comtesse präsentiert sich hingegen wesentlich finessenreicher und feiner strukturiert, jedoch auch nur mittelgewichtig. Pichon-Lalande selbst hat dagegen den Körper und die Ausgewogenheit, die beiden Erstgenannten fehlen. Sehr reife Frucht, Pflaume, tief, undurchdringbar, finessenreich, groß!
Um Pichon-Baron zu erreichen, bedarf es in diesem Fall nur einem Wechsel der Straßenseite. Tour-Pibran, Zweitwein von Ch. Pibran, Cru Bourgeois Pauillac, verkoste ich das erste Mal und bin begeistert: Ein ehrlicher Wein, ausdrucksstark, terroirgeprägt, tiefes Purpur, ein Charmeur, erinnert vom Stil etwas an Ch. Bernadotte 2000. Pibran selbst gibt sich etwas spröder, mit starkem Holzanklang, doch mit weniger Körper als der Zweitwein! Tourelles de Longueville verkündet meiner Nase ebenfalls einen starken Holzeinsatz, fein und homogen in der Struktur. Beim Pichon-Baron selber waren die AXA Herren zurückhaltender, was die Frage des Holzes angeht. Neben einer herrlichen, frischen Brombeerfrucht verströmt der Wein einen vornehmen Duft von Gewürzen. Am Gaumen entfacht sich eine gewaltige Frucht, die sich in ein finessenreiches, vornehmes Korsett gezwängt hat - absolut groß und besser als Pichon-Lalande! Auf Nachfrage erhalte ich die Möglichkeit der Nachverkostung des 2000er Pichon-Baron. Herzlichen Glückwunsch an jeden, der diesen Wein subskribiert hat, grossartig! Hier im Glas wird der Unterschied zwischen 2000 und 2001 deutlich: Der 2000er verströmt einen Duft von gekochten, reifen Pflaumen, fast kalifornisch, tiefschwarz, vollreif, ein Gedicht. Entfacht am Gaumen ein absolutes Feuerwerk und verabschiedet sich mit einem donnernden Nachhall! 2001 ist dagegen wesentlich klassischer; die Trauben hatten keine so große Reife, deshalb ist die Frucht nicht so überschwänglich. Auf der anderen Seite kommen die rebsortentypischen Aromen (Pichon Baron ca. 70% Cabernet Sauvignon) wesentlich besser zur Geltung und stehen mit Körper und Frucht im Einklang. So wird 2001 selbstverständlich früher zur Trinkreife gelangen und dem Liebhaber des klassischen Bordeaux sehr viel Freude bereiten!
Nach einem französischen Mittagsmahl geht es weiter zu Ch. Ducru-Beaucaillou. Mit Ch. Haut-Batailley, ebenfalls im Besitz von Mr. Borie, beginnt die Verkostung: Leichter Anklang von Pflaumen in der Nase, geprägt von frisch gepflückten Brombeeren und einer reichhaltige Fülle und Struktur. Ein lang anhaltender, würziger Nachhall lässt diesen Wein in punkto Intensität nicht weit vom Ducru-Beaucaillou in einem bemerkenswerten Licht dastehen, und das PLV ist ebenfalls mehr als überzeugend. Danach widmen wir uns dem Grand-Puy-Lacoste. Der Wein ist auf den ersten "Blick", etwas spröder als sein Vorgänger, überzeugt jedoch mit einer großen Finesse am Gaumen. Ducru-Beaucaillou bildet dann den Höhepunkt: Vollreife Frucht, filigrane Nase, fein strukturierter und generöser Körper! Zwar kein Vergleich zum 2000er, aber ein gutes bis sehr gutes Gewächs, ehrliche Anfang 90 Punkte würde ich diesem Wein zuschreiben.
Dem Medoc für heute den Rücken kehrend, geht es gen Graves: Ch. Haut-Brion! Mit La Chapelle la Mission beginnt die Verkostung: Seidig fein, ansprechende Struktur, leicht maskuline Stilistik, stielig und ausgesprochen terroirgeprägt; die süßliche Frucht wird von merklichen Gewürztönen im Abgang begleitet. Bahans-Haut-Brion präsentiert sich mit leichter Minze in der Nase, mittelgewichtig, ja etwas leichter als der Vorgänger und doch noch seidiger in der Struktur, wofür der höhere Merlotanteil verantwortlich ist. Mit La Tour Haut Brion kommen wir dann zum ersten Höhepunkt der Verkostung: Tiefes, reines Kirsch-Cassis-Bouquet in der Nase und nochmals Schwarzkirsche. Ein extraktreiches Gewächs von tiefer Farbe, das mit seiner charmeurhaften Frucht zu betören versucht. Unbeirrt erschließt sich dem konzentrierten Verkoster anschließend eine würzige Zartbitterschokoladen-Bleistift-Orgie, die ihresgleichen sucht! Auf meine positiven Kommentare hin wird mir bestätigt, dass dieser Wein speziell von deutschen Händlern immer sehr gelobt wird. Hilfe, heißt das etwa im Umkehrschluss, dass ich mir im Laufe der Jahre eine deutsche "Allgemeinzunge" herangezüchtet habe?
Schnell schüttle ich diesen Gedanken ab und sammle meine Sinne, um mich ganz auf den La Mission Haut-Brion zu konzentrieren. Zu gut kommt mir meine Diskussion mit meinem Partner Michel Cuvelier in Erinnerung, als wir uns letztes Jahr an dieser Stelle darüber auseinandersetzten, ob La Mission oder Haut Brion der Bessere sei. Um es vorwegzunehmen - dieses Jahr geht das Votum eindeutig zu Haut Brion! Ein verheißungsvolles Potpourrie aus schwarzen Früchten verströmt dieser Wein. Der gekonnte und wohldosierte Holzeinsatz meldet sich mit einem dezenten Anklang von Röstaromen/Toastbrot. Ein galanter Seiltänzer, der auf den Wogen des Einklangs von Frucht und Tannin meisterhaft balanciert. Ein donnernder Abgang mit Anklang von roter Paprika hinterlässt einen nachhaltigen Eindruck. Haut-Brion meldet sich vornehm zurückhaltend mit einer verhaltenen Nase - an Volumen und natürlichem Extrakt zeigt sich sofort die wahre Größe eines verdienten Premier Crus: Ein Gigant und somit absoluter Höhepunkt des Tages! Nuancenreich, fein strukturiert und trotzdem ausgeprägt nachhaltiger Körper. Der donnernde Abgang wird von feinst geschliffenen Tanninen eingeleitet, ein wahrlicher Grand Vin ... einziger Wehmutstropfen: Der 2000er war noch besser! Das Resümee und die Reihenfolge dieser Verkostung lautet daher: Haut Brion vor La Mission.
Es geht weiter zu einem Händler, bei dem verschiedene kleinere, größtenteils unbekanntere Gewächse verkostet werden. Die einzig nennenswerten Namen stammen aus den sogenannten Satelliten-Appellationen wie Canon de Brem und Moulin Haut Laroque, die mit dem Jahrgang 1998 en vogue wurden. Leider konnten diese Weine nicht überzeugen; für ein aussagekräftigeres Bild wäre wohl eine umfangreichere Verkostung in der Appellation vor Ort nötig. Der erste Tag ist geschafft und endet in Bordeaux bei einem vorzüglichen Abendessen, dem Führerschein zuliebe bei erfrischendem Wasser!
26.03.02
Um 8.55 Uhr beginnt der vinologische Teil des Tages auf Ch. Margaux. Ein für mich margaux-untypischer Pavillon Rouge bildet die Ouvertüre: Relativ spröde und trocken vom Cabernet dominiert, trotzdem rund, weich und harmonisch, doch in einer Blindprobe hätte ich den Wein geographisch weiter nördlich einsortiert, sprich Pauillac bzw. Medoc. Allgemein für den Jahrgang eher untypisch, präsentiert sich der Grand Vin fast kalifornisch und verstömt einen leicht süßlichen Brombeerduft. Ein voluminöser Brocken, der am frühen Morgen verdaut werden will! Bombastisches Extrakt mit einem donnernden Nachhall untermauert hier die zutreffende Klassifizierung, obgleich in meinem persönlichen Ranking der Premier Crus Lafite-Rothschild noch eine Nasenlänge voraus ist. Auf Nachfrage darf ich auch noch den 2000er Margaux nachverkosten: Eine Orgie opulenter Frucht, ein fast kalifornisches Extraktmonster par excellence! Der perfekte Wein? Es geht weiter zu einer reinen Cru Bourgeois-Verkostung in das Relais du Margaux. Eine erschlagende Auswahl von bürgerlichen Gewächsen macht eine Vorselektion unumgänglich, um den restlichen Terminplan des Tages nicht zu gefährden. Der Ehrlichkeit halber muss ich gestehen, dass es mir nach dem Aromen-Feuerwerk des Ch. Margaux schwerfällt, meinen Gaumen auf die bürgerlichen Gewächse einzustellen. Ich verkoste in Reihenfolge: Château Beaumont, Charmail, Citran, Lamothe Bergeron, Liversan, Ramage la Batisse, Saint Paul (Nachbar von Ch. Charmail), Chasse-Spleen, Maucaillou, Poujeaux und Monbrison. Die Weine präsentieren sich alle mittelgewichtig mit den rebsortentypischen Cabernetaromen. Ihre Stilistik reicht von spröde bis klassisch, wobei aufgrund des vorherigen Premier Cru keine rechte Freude aufkommt. Zum Glück verkoste ich die meisten nochmals zu einem späteren Zeitpunkt!
Auf Château Lynch-Moussas geht es zur ersten Verkostung der Union des Grand Crus. Ch. Beychevelle präsentiert sich auffallend seidig, mit einem kleinen Schuss der süßlichen St. Julien-typischen Frucht. Klassisch, ohne zu großes Extrakt, wird dieser Wein viel Genuss bereiten. Ch. Gruaud-Larose macht mich anhand eines dezenten, fast vornehmen Duftes von Vanille & Haselnuss auf die neuen Fässer aufmerksam, in der er momentan liegt. Gutes Extrakt, auf den Punkt St. Julien-typisch terroirgeprägt, mit würzigem Anklang von Schwarzkirsche im Abgang. Lagrange St. Julien nimmt den Duft von Vanillin als Unterlage und verströmt vordergründig das Aroma von frisch gepflückten Schwarzkirschen par excellence. Bestens eingebundene Tannine drohen förmlich am Gaumen zu explodieren. Als ich meine Nase in das Degu-Glas mit Leoville Barton halte, habe ich das Gefühl, meine Nase befinde sich mitten in einem Busch voll reifer Brombeeren, die heute noch gepflückt werden. Der Cabernet Sauvignon ist sehr dominant und kommt spröde, oder auch trocken, daher; dazu sehr extreme Tannine, die in einem lang anhaltenden Nachhall enden. Leoville Poyferre präsentiert sich an der Nase leicht parfümiert mit Kandisanklängen. Am Gaumen dann ähnlich trocken wie Barton, wobei die Fruchtunterlage hier mehr zu der Textur des Weines passt. Insgesamt ist dieser Wein ausgeglichener und ansprechender als sein Vorgänger. Talbot kommt noch etwas spröder als beide Vorgänger daher, trotzdem gut strukturiert und sehr harmonisch. Grand Puy Ducasse ist sehr zurückhaltend in der Nase, nur mittelgewichtig, aber dann mit bissigen Tanninen aufgepeppt. Da hätte etwas mehr Zurückhaltung bei dem Einsatz des Concentrateurs dem Wein besser gestanden! Was da wohl in zwei bis drei Jahren auf die Flasche gezogen wird?
Lynch Bages kann mit einer vordergündigen, ausdrucksstarken Schwarzkirschfrucht überzeugen, der Körper begleitet von adstringierenden Tanninen. Auf Haut-Bages Liberal hat man meiner Meinung nach den Einsatz des Concentrateurs übertrieben, denn bevor es meiner Zunge gelingt, den Körper, geschweige denn die Frucht, zu schmecken und einzuschätzen, wird meine Zunge von einer Sturmwelle Gerbstoffe überrannt! Da bleibt es abzuwarten, wie sich der Wein später auf der Flasche präsentieren wird. Das hier vorgestellte Fassmuster von Pichon-Baron zeigt zwar dieselben Anlagen wie das Muster, das ich auf dem Chateau selber verkosten durfte, kann aber im gesamten Ausdruck nicht mithalten.
Dies ist eine leidliche Erfahrung, weshalb es nachvollziehbar ist, warum einige Chateaux ihre Fassmuster nur auf dem Chateau verkosten lassen, denn dort präsentiert sich jeder Wein ausnahmslos besser! Später dazu mehr von Monsiour Thienpont und dem Kellermeister von Canon-la-Gaffeliere. Weiter geht es mit Pontet Canet, der mich mit einer herrlichen Nase begrüßt. Eine cremige Brombeerfrucht mit viel Extrakt und einer gesunden Portion Gerbstoff wird später ein sehr gefälliges Gewächs mit einem ausgezeichneten PLV werden.
Es geht weiter zur nächsten Station der Union: Chateau Citran. Ich beginne im düsteren Fasskeller mit den drei Klassikern des Moulis, Chasse Spleen, Maucaillou und Poujeaux, welche ich bereits im Margaux verkosten konnte; um es vorwegzunehmen: Die Weine präsentierten sich durch die Bank besser als heute morgen, was ich natürlich der vorangegangen Verkostung von Ch. Margaux zuschreiben muss. Chasse Spleen, der stete Garant für ausgezeichnete Qualität, hat auch dieses Jahr wieder eine schöne Balance, eine gesunde und natürliche Frucht und einen nachhaltigen Abgang - sehr gut! Maucaillou ist eine Spur zurückhaltender und dabei vielleicht etwas kerniger. Poujeaux ist in der Nase dezenter als seine beiden Vorgänger, kann dann aber am Gaumen restlos überzeugen. Klasse! Es geht weiter mit Ch. Clarke, tief undurchsichtig, vielschichtig, gute Balance. Recht gut! Ch. Beaumont zum zweiten Mal macht mehr Spaß - recht klassisch, stieliger Cabernet, harmonische Struktur, gute Balance, aber Poujeaux war besser. Dann verkoste ich noch einen ausgezeichneten Citran und sehr klassischen Cantemerle. Es geht weiter zu Ch. Palmer. Mit Alter Ego beginnt die Verkostung: tiefschwarz mit schöner Aromatik, leichte Würze, sehr ausgewogen und voluminös, zum Kauen. Der Grand Vin ist noch einen Hauch dunkler und äußerst zurückhaltend in der Nase. Sehr fein und ausgewogen, dabei aber auch sehr kräftig im Ausdruck und nach Ch. Margaux der verdiente Zweite der Appellation.
Und weiter zu Ch. du Tertre zur Union-Verkostung des Margaux. Das Chateau selber ist ein Traum! Die neuen holländischen Eigner, die bereits Ch. Giscours akquirieren konnten, haben sich äußerst geschmackvoll eingerichtet und rein äußerlich bzw. den Wohnwert des Chateaus ungemein gesteigert. Da es sich bei diesem kleinen Bericht aber um keine Architekturdissertation, handelt wollen wir hoffen, dass zuerst in den Weinberg investiert wurde und die Qualität des Weins davon ebenfalls profitierien konnte.
Mit Rausan-Segla starte ich direkt mit einer positiven überraschung, der Wein ist dicht und komplex, am Gaumen sehr stoffig bzw. füllig, ausgewogen und seidig-elegant. Der nachfolgende Prieure Lichine kann da leider nicht ganz mithalten. Er wirkt trocken, spröde, irgendwie "gemacht" und unausgewogen. Ein Mitte-80-Punkte-Kandidat. Aber mit dem folgenden Monbrison wird es auch nicht besser! Im Gegenteil, ich finde den Wein ausdruckslos und schwach; er fällt förmlich in sich zusammen, als ich nach einem Abgang suche. Bei Ch. Lascombes sind nach dem grandiosen 2000er und den neuen Eigentümern meine Erwartungen hoch gesteckt, doch leider wird mein Durst nach Bestätigung nicht gestillt. Der Wein präsentiert sich in der Nase leicht animalisch, die Frucht wirkt oberflächlich und aufgesetzt und ist meilenweit entfernt vom 2000er. Hoffentlich wird die Chance nicht vertan, so dass der 2000er eine Eintagsfliege bleibt.
Mit Kirwan geht es dann endlich wieder bergauf: Tiefgründig, Schwarzkirsche, extraktreich mit einer gehörigen, aber korrespondierenden Portion Tannin. Klasse! Mit Giscours verkoste ich den ersten Wein der neuen Eigentümer von du Tertre. Ein gewaltiges Fruchtspiel in der Nase kündet von weitem einen besonderen Wein an: frische Waldbeeren, gute Struktur und ein fülliger Körper! Fein ausbalanciert und besser als Ch. Kirwan! Wir kommen zum Gastgeber, du Tertre, schönes Extrakt, gute Balance, seidige Tannine und ein guter, wenngleich auch nicht bombastischer Abgang. Sehr gut!
Ich verlasse das Medoc in Richtung Graves zu Smith-Haut-Lafitte. Mit Ch. Carbonnieux beginne ich und werde direkt warm und freundlich von einem typischen Vertreter seiner Appellation empfangen: Ausdrucksstarke Frucht, homogen und seidig. Fein! Domaine de Chevalier, Anflug von Paprika in der Nase, ansonsten frisch und gut strukturiert. Haut-Bergey behauptet seine Position als Newcomer mit funkelndem Cassis, warmherzig, voluminös, zum Kauen, ausgezeichnet für 2001! Larrivet Haut Brion verströmt den Duft eines ganzen Brombeerstrauches - süßliche Frucht, Körper könnte etwas ausgeprägter sein, aber ansonsten ein ausgezeichneter Wein mit einem langanhaltenden Abgang. Les Carmes Haut Brion empfängt meine Nase mit dem Duft frisch gepflückter Schwarzkirschen und untermauert dies mit einem ausdrucksstarkem Körper, klasse, groß! Ein Wein zum Kau(f)en!
Mit Pape Clement komme ich zum Höhepunkt der Verkostung: Ausgeprägter, gut ausgereifter Merlot, lebendige Schwarzkirsche, eindrucksvolle Süße, ausdruckstark und voller Eleganz. Sehr gut! Der Gastgeber Smith Haut-Lafitte präsentiert sich mit einer recht verhaltenden Nase, kühler und trockener Frucht, begleitet bzw. überdeckt von beißenden Tanninen. Schwierig? Chantegrive kann leider auch nicht an den Erfolg des vergangenen Jahr anknüpfen und fällt vor allem durch beißende Tannine auf. Geschafft - der geschäftliche Teil ist abgeschlossen, eine kurze Verschnaufpause im Hotel, und es erwartet mich eine unkomplizierte Verkostung auf Chateau Carbonnieux mit anschließendem Abendessen!
27.03.02
Am nächsten Morgen geht es zum sogenannten rechten Ufer, denn auf Ch. La Couspaude hat die Union zur Verkostung geladen. Mit A wie Angelus beginne ich: Tiefschwarz, undurchsichtig, mit violetten Reflexen, sehr fein und homogen, nuancenreich, ein Charmeur - wenngleich auch hier wieder der letzte Kick im Vergleich zum Vorjahr fehlt. Trotzdem ein ganz großer Wurf für 2001! Beausejour-Becot zeigt leichtes Graphit in der Nase, gepaart mit der üblichen jungen, ungestümen Frucht. Am Gaumen dann ausgeprägt, nachhaltig fein strukturiert mit großen Anlagen. Canon kann dagegen leider nicht überzeugen: verhaltene Nase, schwacher Körper, bestenfalls mittelgewichtig. Mit Canon-la-Gaffeliere geht dann wieder die St. Emilionesische Sonne auf: Cassis-Brombeere, süßliche-schwere Frucht, enorm voluminös und extraktreich, ohne zu übertreiben! Klasse! Figeac ist zwar stoffig und gut strukturiert, es fehlt aber etwas an Intensität. Clos Fourtet dagegen bereitet richtig Freude: ausgeprägte Schwarzkirsche in der Nase, ausdrucksstarke Frucht, leicht würziger Anklang mit bestens eingebundenen Tanninen und einem intensiven Abgang. Klasse!
Grand Mayne ist ebenfalls sehr gefällig und warmherzig, authentisch und mit einem Top PLV. La Couspaude kann vordergründig gefallen, fehlt es aber im Mittelbau, unausgewogen. La Dominique will mit einer süßen Frucht betören, kann aber den fehlenden Körper auch nicht verdecken. La Gaffeliere gefällt da schon besser: Ansprechende Nase von frischer Brombeere, ausdruckreicher Körper von trockenen Tanninen begleitet und ein intensiver Abgang. Larmande ist tiefgründig in der Farbe, aber ansonsten eher eindimensional. Trotzdem extraktreich und von leichter Würze im Abgang begleitet. Mit Troplong Mondot komme ich zum Abschluss dieser Veranstaltung: Tiefschwarz, reife, fast süße Schwarzkirsche, enormes Tannin, homogen und wirklich groß!
Es geht weiter zu Ch. Cheval-Blanc; Pierre Lurton empfängt mich mit einem Petit Cheval, der es in sich hat - an der Nase verströmt er den verschwenderischen Duft von Brombeere/Cassis, nuancenreich und mit den Anlagen eines wirklichen Grand Vins. Chateau-beeinflusst kann mich dieses Gewächs fast mehr beeindrucken als die Vielzahl der Union-Gewächse. Cheval-Blanc selber ist dann die potenzierte Kraft und Opulenz des kleinen Bruders; komplex, rund, weich, harmonisch ausdrucksstark und zum Kauen!
Auf Canon-la-Gaffeliere, beginne ich meine Verkostung mit d’Aiguilhe: Eine schöne, süßlich-frische Brombeerfrucht in der Nase, mittelgewichtig am Gaumen, doch der Wein kann leider nicht an die Erfolge des 98er und 00er anknüpfen. Nichtsdestotrotz ein Wein mit einem guten PLV. Clos de l’Oratoire kommt da schon erwartungsgemäß wesentlich extraktreicher und strukturierter daher, mit viel Volumen und beißender Schwarzkirsche im Abgang. Ich komme zum Canon la Gaffeliere: Bereits an der Nase scheine ich einen anderen Wein als auf der Union zu verkosten, denn der Wein ist wesentlich ausgeglichener, reifer, ruhiger und kann somit einfacher sein wahres Gesicht zeigen. Wieder diese leicht süßliche Frucht, aber wesentlich nuancenreicher und strukturierter, mit einem donnernden Nachhall. Ich spreche den Kellermeister auf die meiner Meinung so differenten Weine an, und er bestätigt mir, dass exakt dieselben Fassmuster auf dem Chateau und der Union verkostet werden. Aber um zu verdeutlichen, dass diese Fassmuster immer nur eine Art Schnappschuss sein können, verschwindet er in den Fasskeller, um für mich ein ganz frisches Fassmuster von La Mondotte abzuziehen.
Nach seiner Rückkehr beginnen wir einem zwei Tage alten Muster La Mondotte: An der Nase reichhaltig, komplex, fast kalifornisch, dabei aber natürlich und nicht künstlich extrahiert. Sehr fein, nuancenreich, vollausgereift und ausgeprägt. Ein lang anhaltender Abgang wird von der Spannung auf das ganz frische Fassmuster abgelöst. Der Wein ist zwar in Anlagen und Textur identisch, ansonsten jedoch wesentlich flacher und ausdrucksloser, mit plumperer Frucht und beißenden Tanninen.
Ich verabschiede mich nun in Richtung Ausone. Das Chateau gleicht einem Steinbruch, denn es liegt auf einem Plateau, das durch Abbruch erweitert wird. Mit Moulin St. Georges beginnt die Verkostung: Ausgeprägte Frucht, gutes Extrakt, ausgewogen und fein strukturiert, gut! Der Grand Vin stellt dann alles Vorherige in den Schatten; ein schwarzes Monster, sinnliche Schwarzkirsche, äußerst komplex, mit enormen Extrakt und leichten Graphitanklängen, zum Kauen, sehr fein und ein wahrlich großer Wein. Mit der Frage, was dieses vinologische Erlebniss noch toppen kann, mache ich mich auf den Weg in Richtung Sansonnet.
Hier residiert während der Verkostungen das Handelshaus des verstorbenen Jean-Michel Arcaute. Vinologisch bleibt hier dank Michel Rolland alles beim alten; er hat sofort nach dem tragischem Tod seines Freundes seine gesamte Aufmerksamkeit und Hilfe zugesagt, damit die Visionen von Arcaute in seinen Weinen weiterleben. Ich beginne mit Jonqueyres, um meinen Gaumen nach Ausone wieder auf den Boden der Tatsachen zu bringen: Die Landung ist erwartungsgemäß hart, trotzdem verströmt der Wein wieder diese leicht süßliche Primärfrucht, hat eine anständige Struktur, bleibt jedoch mittelgewichtig. Fontenil besticht mit einer guten Struktur, am Gaumen missfallen mir aber die sehr trockenen Tannine, ansonsten hat der Wein eine ordentliche Balance und ein gutes PLV. Defi de Fontenil übertrifft dies noch, angenehme, frische Brombeerfrucht, enormes Extrakt, gute Balance und ein donnernder Nachhall. Später wird sich herausstellen, dass dieser Wein einer der wenigen Sondercuvees war, die wirklich überzeugen konnten. Sansonnet besticht durch seine offene, moderne und warme Art, ordentliches Volumen, eine gut strukturierte Frucht und einen intensiven Abgang. Alles in allem ein moderner St. Emilion, welcher nicht zu aufdringlich und zu extrahiert daher kommt, sondern eher vornehm und langsam, aber sicher einen Platz unter den Klassikern des St. Emilion einnehmen wird. Faugeres lässt es dagegen etwas "aggressiver" angehen: Tiefdunkel, undurchsichtig, ganz reife Brombeere, enormes Extrakt an der Grenze zum übertreiben und ein donnernder Nachhall! Klasse! Grand Corbin Despagne kommt eher wieder vornehmer, harmonischer daher und wird von guten Tanninen getragen. Larrivet Haut Brion kann als Pessac Leognan-"Außenseiter" hier ebenfalls eine gute Figur machen und präsentiert sich klassisch. Valrose wird von einer intensiven, süßlichen Frucht dominiert - unsere anglistischen Freunde würden JUICY frohlocken!
Beau-Soleil präsentiert sich samtigweich, ein bodenständiger Pomerol-Wert. Das Top Cuvee des Hauses Faugeres, Peby Faugeres, hatte ich mir in der Reihenfolge bis zum Schluss aufgehoben: Zwar auf der einen Seite sehr extraktreich, wenn auch zu übertrieben, fällt der Wein am Gaumen und spätestens beim Abgang leicht zusammen. Stuart Pigotts köstlicher Schreibstil würde es eventuell so beschreiben: Eine aufdringlich geschminkte, gealterte Diva, die ihren besten Tagen nachtrauert. Diva hin oder her, es geht weiter zum Tausendsassa des St. Emilion: Jean-Luc Thunevin.
Ich beginne mit Magrez-Fombrauge, dem Cuvee der besten Parzellen von Ch. Fombrauge. Eine Fruchtbombe, die die typische Handschrift Thunevins trägt. Trotzdem eine gute Balance und eine intensive Frucht mit einem würzigen Abgang. Als nächstes knöpfe ich mir Gracia vor: Enormes Extrakt, eine verschwenderische Reichhaltigkeit, enorme Frucht, absolut groß! Ich verweile bei den Weinen der "Freunde von Thunevin" und komme zu den Exoten:
Quintessance, ein Banyuls! Eine beeindruckende, echte, portweinartige Süße, dazu eine intensive Frucht und ein süßlich klebriger, lang anhaltender Abgang. Nichts für Zartbesaitete, stellt dieser Wein bei einer Bordeaux Verkostung eher ein Kuriosum dar! Wenn man es in Punkte kleiden müsste, wären mittlere 90 fällig. Pingus fällt in diesem Umfeld ebenfalls total aus dem Rahmen: Würzig, füllig, aber sehr merlot-dominiert. Andrea Francetti schenkt mir seinen Zweitwein ein: Cap de Trinoro, ein bezahlbarer Wein aus diesem ambitioniertem Haus. Enormes Extrakt, leichte Süße und eine gute Frucht-Unterlage. Trinoro selbst ist in allem dann noch reichhaltiger und verschwenderischer, wobei hier noch eine gehörige Portion Tannin ihr übriges tut. Absolut groß!
Ich arbeite mich vor in den Raum, wo die von Jean-Luc hergestellten Weine zu verkosten sind: Griffe de Cap d’Or empfängt mich mit einem reichhaltigem Aromenstrauß von Brombeere und Schwarzkirsche, ebenfalls sehr gutes Extrakt und füllig. Mit Andreas steigert sich die Qualität erneut merklich: Noch extraktreicher, ein Wein zum Kauen! Marojallia empfängt mich mit einer reichhaltigen, fast kalifornischen Nase, dabei extrem konzentriert und ebenfalls ein Wein, den man förmlich kauen möchte. Clos Badon hat die jetzt gewohnte Reichhaltigkeit an der Nase und eine enorme Fülle von Schwarzkirsche am Gaumen. Das Ganze wird von sehr trockenen Tanninen und einer beißenden Säure begleitet. Virgine de Valandraud ist in diesem Jahr sehr gut gelungen und von der Intensität mit Clos Badon vergleichbar. Mit Valandraud komme ich zum Finale des Besuches: Ein bis dato nicht verkosteter, extraktreicher Wein mit einer faszinierenden Reichhaltigkeit. überschwenglich, mit einer guten Balance von Gerbstoffen und Säure, hinterlässt dieser Wein einen immensen Eindruck.
Es ruft das Chateau Gazin zur Pomerol-Verkostung der Union de Grand Crus. Beauregard ist wie immer relativ frisch, zugänglich und warmherzig, gut ausbalanciert, ein bodenständiger Wert! Clinet setzt dem dann noch eine gehörige Portion Finesse und Struktur hinzu. Sehr gut! Gazin selber fällt dagegen etwas ab, eindimensional, flach, aber trotzdem weich und harmonisch. La Conseillante überzeugt mit hohem Extrakt, einer guten Balance und einer nahezu perfekten Symbiose von Körper und Gerbstoffen. Klasse! Von La Pointe bin ich angenehm überrascht: Eine leicht süßliche Frucht, eine gute, aber natürliche Portion Tannin hinterlässt einen sehr guten Gesamteindruck; besonders in Relation zu den Vorgängern muss sich dieser Wein nicht verstecken! L’Evangile ist an Reichhaltigkeit und Finesse nicht zu überbieten. Sehr rund und harmonisch mit einer phänomenalen Struktur.....Pomerol Liebhaber kommen hier auf ihre Kosten!!! (wenn der Preis stimmt?) Auch Petit Village schlägt sich tapfer und steht seinem Vorgänger nicht zu viel nach. Enormes Extrakt bildet die Unterlage zu diesem komplexen Wein.
Es geht weiter zu Vieux Chateau Certan, wo ich auf einen ruhigen und gelassenen Mr. Thienpont inmitten des Barriquekellers treffe. Er ist gerade dabei, Muster für Journalisten abzuziehen, und wir kommen etwas ins Plaudern. Nahezu ein ganzes Barrique wird als Musterflaschen in alle Welt verschickt! Wir sprechen über die Erfahrungen von unterschiedlichen Fassmustern, und er bestätigt mir, dass diese Verkostungen eine Art Schnappschuss sind. Seiner Meinung nach ist jedes Fass zu unterschiedlichen Zeiten ein individueller Wein. Es sei für ihn selbst ein merklicher Unterschied, ob er morgens oder nachmittags ein Muster verkoste. Nun, wenn er nicht diese unterschiedlichen Nuancen schmeckt, wer sonst? Der Wein selbst ist königlich: Die immense Frucht wird im Zaume gehalten von einer festen, natürlichen Hand Gerbstoffe. Bestens ausbalanciert ruht hier einer der besten 2001er und wartet auf seine Abfüllung! Ich probiere auch noch den 2000er nach und gebe dem sensationellen 2001er hier den Vorzug. Hier konnte ich den ersten und einzigen Wein probieren, der besser als 2000 war!
Ich beeile mich, um auch noch den Sauternes-Weinen die Ehre zu erweisen und verkoste auf Beauregard köstlich klebrige Tropfen von Filhot, Coutet, de Malle, Doisy Vedrines und Caillou. Es ist beeindruckend, auf welch hohem Niveau sich diese Weine befinden. Immens fett und von einer feinen Süße geprägt, mit einer großen Struktur. Alle Anfang 90 Punkte Weine. Darüber schwebt der Suduiraut, welcher von der Struktur und Finesse alles hinter sich lässt. Die Süße ist hier noch frisch und jugendlich; ganz im Gegensatz zum Rieussec, welcher sich fast überreif präsentiert. Sehr reife Noten von gekochter Orangenmarmelade bilden die dominante Grundlage zu diesem wahrlich großen Sauternes! Der hier leider nicht angestellte d’Yquem muss dann wohl ein göttliches Getränk sein. Damit endet eine erneut beeindruckende Verkostung, und ich trete berauscht die Heimreise an.
Kaufempfehlung:
Während diese Zeilen geschreiben wurden, sind bereits einige relevante Gewächse mit ihren Offerten herausgekommen, und es zeichnen sich positive Signale von der Preisfront ab. Zuerst kamen die Sauternes auf den Markt, welche aufgrund der enormen Qualitätssteigerung einen nachvollziehbaren Preisaufschlag forderten. Auch wenn Sie kein großer Freund der "süssen" Bordeaux-Kreszensen sind, kann das eine oder andere kleine Kistchen nicht schaden. Viele kleinere Gewächse lieferten sensationelle Qualitäten!
Von den Roten flattern momentan Offerten auf den Tisch, welche ein Preisniveau vom 99er Jahrgang andeuten, was vielfach wohl als gerechtes Maß anzusehen ist. Der Jahrgang 2001 steht vielleicht ähnlich wie der 1983 im Schatten eines phänomenalen Vorgängerjahrgangs, wobei im aktuellen Fall noch der 2000-Hype dazu kommt, der zu teilweise aberwitzigen Preisen geführt hat. Diese Entwicklung hat für die restliche Weinwelt Vorbildcharakter gehabt, und wir haben große Befürchtungen, ähnliches zu erleben, wenn z.B. 2000er Brunello, Barolo, Tignanello & Co. oder die großen Kalifornier auf den Markt kommen.
Nichtsdestotrotz hat der 2001er Jahrgang viel zu bieten: Die Preise fallen, die Qualität ist teilweise gut bis sehr gut anzusehen, und die Vielfalt, die Bordeaux ausmacht, kommt ganz zur Geltung. Dennoch ist es unserer Meinung nach schwer, eine bestimmte Appellation als besonders gelungen zu favorisieren, da mehr denn je wieder der Winzer gefragt war, in seinen Entscheidungen rigoros nach qualitativen Gesichtspunkten zu arbeiten. Wer bei der grünen Ernte zuviel unreife/ungleichmäßig gewachsene Trauben hängen ließ, hat dann bei der Ernte die Quittung erhalten.